Domenico Losurdo: Kampf um die Geschichte. Der historische Revisionismus und seine Mythen, PapyRossa, Köln 2007, 17,90 € Wer den Zugriff auf vergangene politische Geschichte prägt, bestimmt mit über die politischen Entscheidungen von morgen. Wie erscheint uns die politische Geschichte seit 200 Jahren? Sie stand, konterrevolutionären Störmanövern zuwider, im Zeichen einer emanzipatorischen Aufklärung, in welcher die Revolutionsereignisse Etappen darstellten. Dieses Geschichtsverständnis ist bedroht, seit mit der Option auf neoliberalistische Globalisierung die politische Geschichte als vollendet erscheinen soll und, über ein globales, konkurrenzbestimmtes Marktgeschehen hinaus, verbunden mit liberalen Demokratien, eine politische Basisveränderung weder möglich, noch nötig, noch wünschenswert ist. Die vergangenen zwei Jahrhunderte revolutionär geprägter Historie stehen diesem Wunsch insofern im Wege, als diese Geschichtsdarstellung (historia rerum gestarum) politische Revolutionen in der Ereignisgeschichte (res gestae) nicht ausschließt. Das bisherige Bild unserer Geschichte stellt eine Art Gegenbild dar zu jenem neoliberalen Ende der Ereignisgeschichte. Wer schafft Abhilfe? Eine historia rerum gestarum, die behauptet: Alles politisch verursachte Leid der letzten 200 Jahre ist Folge der 1789 in Frankreich einsetzenden Revolutionen. Es wurde durch die Revolutionäre ein Weltbürgerkrieg entfesselt, der das längst erreichte Europäische öffentliche Recht zerstörte. Auch das 3. Reich und der Zweite Weltkrieg sind nicht Ursprung der Leidzufügung, sondern stellen eine Abwehrmaßnahme gegen den revolutionären bolschewistischen Terror dar. Dies ergibt den historischen Revisionismus, wie ihn in Frankreich François Furet und in Deutschland Ernst Nolte, aber auch viele andere Autoren vertreten. Da Frankreich seine revolutionäre Vergangenheit historisiert und da Russland kapitalistisch wurde, bleibt nur die angelsächsische Welt mit der Hypermacht USA unbeschädigt übrig.
Hier setzt Losurdo mit seiner extrem kenntnisreichen, überzeugenden und von Erdmute Brielmayer angenehm lesbar ins Deutsche übertragenen Widerlegung des Revisionismus ein. Angesichts der zahllosen Beweisführungen sei hier nur auf zwei zentrale Aspekte hingewiesen.
Mit Recht zählt Losurdo Edmund Burkes Schrift über die Französische Revolution von 1791 als faktischen Einsatz des Revisionismus. Erstaunt wird man belehrt, dass bei Burke auch erstmalig die später verhängnisvolle Figur einer Verbindung von Revolution und Judentum erscheint. Der eigentliche Gründungsvater des heutigen Revisionismus ist jedoch der Nationalsozialist Carl Schmitt, der die Revolutionen der Zerstörung des Europäischen öffentlichen Rechtes anklagte, das auf antike Unterscheidungen zurückgeht und einen Ausrottungs- und Vernichtungskrieg unter Gleichen verbietet. Diese Unterscheidung, so Losurdo, habe indes nicht die genozidartige Politik Englands gegenüber Irland, nicht den US-Genozid an den Indianern und nicht Hitlers Ausrottungskrieg gegenüber Russland verhindert, der von Hitler auch unter Berufung auf die Vernichtung der Indianer gerechtfertigt wurde. Die koloniale Gewaltpraxis der Europäer komme im Revisionismus nicht vor.
Die immer wieder erschreckenden Belege Losurdos für den Willen zu Vernichtung und totalem Krieg bei Europäern und US-Amerikanern (wozu auch die menschenrechtsverletzende Behandlung deutscher Kriegsgefangener durch die USA gehört, die der kanadische Forscher James Bacque dokumentierte) leitet zu folgender Konsequenz aus diesem wichtigen Buch: Drei Gegensätze standen in der Tradition bereit, um die Andersheit anderer Menschen aus der ersten Person und scheinbar aus der dritten bewertend zu markieren. Die anderen waren Sklaven, man selbst frei. (So definierte Aristoteles Menschen, deren Selbstkontrolle der Kontrolle anderer Menschen bedürfe, als «Sklaven von Natur.») Sie waren Barbaren, man selbst zivilisiert. (Griechische Denker verstanden Nicht-Griechen als nicht-zivilisiert, weil sie nicht die griechische
Sprache sprachen.) Sie waren Teufel, man selbst Mensch, gelenkt von Gott. (Die englischen Puritaner verstanden sich als gottgefällige Menschen und die Indianer als Kinder des Teufels.) Die Unterscheidung Sklaven/Freie begründete bis ins 19. Jahrhundert Rechte und war insofern gefährlich. Die Unterscheidung Teufel/gottgefälliger Mensch war theologisch, übertrieben und unglaubwürdig. Der Gegensatz Barbaren/Zivilisierte war kulturell und zeugte von Unwissenheit und Dummheit. Die rechtliche Sklaven-Freie-Unterscheidung sowie die theologische Unterscheidung von Teufel/(gottgefälliger) Mensch verschwanden im 20. Jahrhundert, übrig blieb der dümmste Gegensatz von «Barbaren/Zivilisierte.» (Inzwischen tritt diese Dummheit nicht mehr als Gegensatz auf, sondern in Gestalt einer De-Relativierung: Die Bezeichnungen «barbarisch» oder «Barbaren» werden gedankenlos zur entfesselt willkürlichen Missbilligung von Verhaltensweisen verwendet, losgelöst von dem ursprünglichen Gegensatz zu «zivilisiert.») Losurdo zeigt, wie sich diesen Gegensätzen noch ein vierter gesellte, eine «Despezifikation» des absoluten Feindes, sein Verständnis als Tier und Krankheitserreger. Er legt auch nahe einen Zusammenbruch all dieser Gegensatzachsen infolge ihrer Überstrapazierung im Zweiten Weltkrieg zu konstatieren. Und er schärft mittelbar die Aufmerksamkeit dafür, dass mit der Terrorismusbekämpfung seither neue Achsen geschmiedet werden den asymmetrisch agierenden Feind moralisch zu diskreditieren. Sein 2oo7 erschienenes Buch Il linguagio dell'impero.Lessico dell'ideologia americana (Die Sprache des Imperiums. Lexikon der amerikanischen Ideologie, Laterza, Bari) gibt darüber weitere Auskunft.
Dass Gegendarstellungen und Widerlegungen des Revisionismus derzeit in Deutschland einer offenbar revisionistischen Dominanz oder einer Furcht vor ihr geopfert werden, erlebte das übersetzte Buchmanuskript bereits selbst. Zwei größere Verlage lehnten es mit unpassenden Begründungen ab. Für den einen passte es nicht ins Programm, der andere wollte keine «leninistische» Sicht auf die Ereignisse. Die Chance zum Widerstand gegen die sachlich unhaltbare Revisionismusherrschaft wurde nicht genutzt.
Bernhard H. F. Taureck
mercoledì 19 settembre 2007
Iscriviti a:
Post (Atom)